REDE IN DER REGIONSVERSAMMLUNG AM 14.05.2024: Sinja Münzberg: Rede zu 75 Jahre Grundgesetz

  • Veröffentlicht am: 14. Mai 2024 - 13:07

14.05.2024

Sinja Münzberg: Rede zu 75 Jahre Grundgesetz

 

TOP 14: 75 Jahre Grundgesetz – 75 Jahre lebendige Demokratie – 75 Jahre Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 2. Mai 2024

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Anrede,

 

in wenigen Tagen wird das Grundgesetz, unsere Verfassung, 75 Jahre alt. Ich erinnere mich noch gut an den letzten runden Geburtstag des Grundgesetzes vor 5 Jahren. Damals war das Land in Feierlaune und es gab viel Lob für eine Verfassung, die auch in vergleichsweise hohem Alter noch fit ist für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Und das ist auch heute noch genauso richtig. Der sog. Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichtes oder das Urteil zur Dritten Option haben eindrücklich gezeigt, dass das Grundgesetz auch heute noch gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht wird, die vor 75 Jahren noch niemand erahnen konnte.

 

Und trotzdem nehme ich heute nur wenig Geburtstagsstimmung wahr. Stattdessen wird derzeit viel über Angriffe auf das Grundgesetz und den Zustand der Demokratie diskutiert. Das finde ich ausdrücklich richtig, denn das, was wir derzeit erleben – eine deutliche Verrohung der Debattenkultur, Hass und Hetze im Netz, Angriffe auf queere Menschen, auf jüdische Menschen, auf Rettungskräfte, auf Politiker*innen,– ist eine besorgniserregende Entwicklung. Man hat mitunter den Eindruck, dass die Vielzahl der Meldungen in den letzten Monaten dazu führt, dass sie bestenfalls noch resigniert zur Kenntnis genommen werden. Auch mir geht das manchmal so. Deshalb finde ich es zum Geburtstag des Grundgesetzes besonders wichtig, dass wir uns eines vergegenwärtigen: das Grundgesetz ist mit seinen 75 Jahren noch immer topfit. Es sichert uns seit einem dreiviertel Jahrhundert Sicherheit, Stabilität und Freiheit und eine große Mehrheit in diesem Land steht hinter diesen Werten und ist bereit, sie auch zu verteidigen.

 

Das Grundgesetz legt den Schutz der Verfassung einerseits in die Verantwortung von Institutionen, andererseits aber auch in die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen. Und diese Verantwortung, dass muss man allem verständlichen Pessimismus zum Trotz feststellen: sie ist in guten Händen. Das gestrige Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in Münster bspw. zeigt, dass Rechtsstaat funktioniert und das Grundgesetz sich gegen seine Feinde zur Wehr setzen kann. Die vielen Demonstrationen und das breite zivilgesellschaftliche Engagement dahinter machen deutlich, dass auch die Menschen in diesem Land ihre Verantwortung entschlossen wahrnehmen. Das ist doch wirklich ein ermutigendes Zeichen!

 

Uns sollte aber gleichzeitig auch bewusst sein: diese Entwicklung hin zu Hass und Hetze passiert nicht zufällig oder von selbst. Sie ist auch kein Trend, der aus anderen Ländern zu uns herüberschwappt. Sie ist auch nicht die Schuld einer Regierung oder einzelner ihrer Mitglieder.

 

Diese Entwicklung ist organisiert. Seit vielen Jahren wird sie betrieben, indem die Grenze des Sagbaren immer weiter verschoben wird, indem demokratische Prozesse in Zweifel gezogen werden, indem Misstrauen und Vorurteile gezielt verstärkt werden, indem Minderheiten an den Pranger gestellt und Angriffe auf Vertreter*innen des Staates legitimiert werden. Diese Entwicklung ist deshalb auch keine Überraschung, sondern sie passiert mit Ansage.

 

Ich mache seit über 10 Jahren Kommunalpolitik und muss feststellen, dass man mittlerweile kaum noch eine politische Entscheidung treffen kann, die nicht polarisiert. Ob es um eine geänderte Verkehrsführung geht, um die Benennung einer Straße, oder die Förderung einer Beratungsstelle: man kann eigentlich sicher sein, dass man mindestens als komplett unfähig, überfordert oder ideologisch verblendet bezeichnet wird. Um die Sache geht es dabei selten. Das ist eine Belastung für Einzelne, aber es ist vor allem in der Masse ein Problem, weil dadurch ein Klima entsteht, in dem aus Worten schnell Taten werden. Es ist deshalb gut und richtig, dass wir darüber diskutieren, welche weiteren Schutzmechanismen wir brauchen. Ich finde aber auch, dass wir uns – bei allen Unterschieden in der Sache - in solchen Fällen noch besser gegenseitig den Rücken stärken müssen. Es darf nicht passieren, dass wir Hass und Hetze gegen andere tolerieren oder uns gar das Vokabular von Hatern zu Eigen machen, weil wir glauben, damit einen schnellen Punkt machen zu können. Wenn wir es ernst damit meinen, dass wir gegen Anfeindungen zusammenstehen, dann gehört auch das dazu.

 

Hass geht immer viraler als Liebe und es muss in unser aller Interesse sein, diese Spirale zu durchbrechen. Das Grundgesetz jedenfalls und die Menschen in diesem Land sind gewappnet für genau solche Entwicklungen. Es gibt also auch jetzt durchaus Grund zum Feiern.

 

Herzlichen Dank.