Antwort auf Anfrage

Lückenhafter Gewaltschutz im Aufenthaltsrecht: Welche Schlussfolgerungen zieht die Region Hannover?

Am 19. Oktober 2024 berichtet die HAZ[1] über den Fall einer Frau aus Uetze, die sich von ihrem gewalttätigen Partner getrennt und diesen vor Gericht bringt. Der Mann wurde anschließend wegen körperlicher Verletzung und sexueller Belästigung seiner minderjährigen Stieftochter vom Amtsbericht Burgdorf verurteilt. Trotz des couragierten Verhaltens der Mutter droht ihr nun, einschließlich ihrer minderjährigen Tochter, die Abschiebung. Dieser Einzelfall steht jedoch nicht für sich allein, sondern offenbart den strukturell angelegten und unzureichenden Gewaltschutz für Frauen im bundesdeutschen Aufenthaltsrecht, wie erst jüngst der Deutsche Juristinnenbund im Juni 2024 festgestellt hat.[2] Gegenstand der zivilgesellschaftlichen Kritik betrifft insbesondere die sog. Ehebestandszeit von drei Jahren, die erfüllt sein muss bevor die Partner*in das Anrecht auf einen eigenständigen Aufenthaltstitel erwerben. Diese Regelung verschärft die Abhängigkeit der Frauen in unterschiedlichen Konstellationen häuslicher Gewalt und sorgt systematisch dafür, dass Betroffene regelrecht entmutigt werden sich aus Gewaltbeziehungen zu befreien.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Verwaltung:

1. Im Hinblick auf den vorgenannten Einzelfall aus Uetze:

  1. Wie stellt sich die aufenthaltsrechtliche Situation in diesem Fall dar?

    Zum Schutze der personenbezogenen Daten der in der Frage erwähnten Familie, erfolgt die Antwort in einer nichtöffentlichen Anlage.

  2. Inwiefern wurden aufenthaltsrechtliche Alternativen für die Frau und ihre Tochter seitens der Region Hannover geprüft? (bspw. voraussichtliche Erwerbstätigkeit der Mutter; Schulbesuch der Tochter etc.)

    Aufgrund der Einreise mit einem Touristenvisum kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur im Falle eines im Gesetz verankerten Anspruches in Betracht. Die Aussicht auf einen Arbeitsplatz oder das theoretische Angebot eines interessierten Arbeitgebers in diesem Fall sowie der Schulbesuch der Tochter führen kraft Gesetzes nicht zu einer Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis / Erwerbsduldung.

  3. Hat der Härtefallparagraf § 31 Abs. 2 AufenthG Anwendung gefunden? Wenn nein, warum nicht?

    Bei der Vorschrift des § 31 Abs. 2 AufenthG handelt es sich um eine ausschließliche Verlängerungsvorschrift einer bereits zum Zwecke der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft erteilten Aufenthaltserlaubnis. Die Betroffene war jedoch nie im Besitz einer solchen Aufenthaltserlaubnis. Eine Anwendung der besagten Vorschrift kam daher nicht in Betracht.

2. Die Betroffenen sind sog. Darlegungs- und Nachweispflichten unterworfen, um die Gewaltvorfälle gegenüber den Ausländer*innenbehörden glaubhaft zu machen. Nach welchen Prinzipien und Prüfkriterien geht die Verwaltung vor?

Sofern hier bekannt wird, dass es zu Gewalttaten in der Ehe bzw. in der Familie gekommen ist, werden Betroffene generell darauf hingewiesen, die Angelegenheit zur Anzeige zu bringen.

Sollte die häusliche Gewalt dabei aufenthaltsrechtlich (§ 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) relevant sein, sind Nachweis einer physischen oder psychischen Misshandlung in der Ehe zu erbringen. Dies ist u.a. durch ärztliche Atteste und Gutachten von Beratungsstellen möglich. Bei einer strafgerichtlichen Verurteilung erübrigt sich jeder weitere Nachweis.

3. Inwiefern werden die Mitarbeiter*innen im Hinblick auf das Erkennen von Gewaltformen (in Anlehnung an das Modell Domestic Abuse Intervention Projekt) und der Dynamik von geschlechtsspezifischer Gewalt aus- und fortgebildet? Werden dabei auch intersektionale Perspektiven berücksichtigt?

Die Mitarbeitenden der Ausländerbehörden erhalten aktuell keine Aus- und Fortbildung zum Erkennen von Gewaltformen und der Dynamik von geschlechtsspezifischer Gewalt. Eine Kollegin aus dem Team „zentrale Fachbereichsangelegenheiten“ stand in der Vergangenheit mit einschlägigen Beratungsstellen und Frauenhäusern in Kontakt und hat Infomaterialien für die Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt.  Ab dem kommenden Jahr soll durch die neu eingerichtete Stelle der Lernwerkstatt auch dieses Thema in den Einarbeitungs- und Fortbildungskatalog aufgenommen werden.


[1] https://www.haz.de/lokales/umland/uetze/haeusliche-gewalt-mutter-trennt-sich-von-ehemann-nun-droht-ihr-die-abschiebung-L5GF7CDEWZFODENWHO67CU2S5U.html

[2] https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st24-20#:~:text=Trennt%20sich%20nun%20die%20Ehefrau,2%20AufenthG%20ist%20nicht%20anwendbar

Eingereicht am
30. Oktober 2024

Behandelt am
14. November 2024

Ergebnis
beantwortet

Dokumente
Vorlage